Warum nach „dir selbst schauen“ nicht die Lösung ist
„Du musst nach dir selbst schauen!“ ist ein viel gebrauchter Satz im Therapiekontext. Leider wird dieser Satz auch gerne falsch verstanden.
Ich hatte einmal eine Klientin, die nur nach ihrer Familie, nach ihrem Mann, nach der Arbeit schaute. Sie hatte gelernt immer erst nach den anderen zu sehen und sich selbst dabei immer hinten anzustellen. Die Fragen, die ich ihr in Bezug auf sie selbst stellte, konnte sie mir kaum beantworten. Ihr sagte ich, sie solle nach sich selbst schauen. Sie lernte, dass man permanent über ihre Grenzen ging, dass sie sich ausnutzen lies, dass das wenig mit Liebe zu tun hatte und das sie sich selbst wertschätzen musste, damit sie diese Wertschätzung auch von anderen einfordern konnte. Hier war dieser Satz: „nach sich selbst sehen!“ wunderbar umgesetzt worden.
Nun verstehen aber viele diesen Satz komplett falsch. Sie denken, sie sollen nur noch an sich denken, was eher etwas mit Egoismus als mit Selbstfürsorge zu tun hat. Sie denken rücksichtslos nur noch an sich selbst, ziehen die anderen Menschen nicht mehr in ihr Leben mit ein und wundern sich am Ende, dass sie alleine dastehen und niemand noch etwas mit ihnen zu tun haben will. Denn man darf bei dem allen nicht vergessen, dass wir unser Leben mit anderen Menschen teilen und darum auch Kompromisse eingehen dürfen, wenn wir am Ende nicht alleine dastehen wollen.
Ich kann mich nicht auf die Suche nach meinem Traumjob machen, ohne dabei an Partner und Kinder zu denken. Sonst findet man den Job, hat aber keinen Partner und keine Kinder mehr, weil die den Job am Ende der Welt auf einer Eisstation am Nordpol nicht teilen wollen.
An sich selbst zu denken bedeutet, seine innere Stimme wahrzunehmen, gut für sich selbst zu sorgen und Grenzen zu setzen. Dabei sollte man auch bedenken, was sonst noch wichtig für ein erfülltes Leben ist. Beziehungen sind für ein glückliches und gesundes Leben elementar.
Nach sich selbst zu sehen bedeutet wahrzunehmen, wenn dir etwas nicht guttut, um dann neue Lösungen zu finden. Nur haben wir ins unserer modernen Welt verlernt wahrzunehmen, was unser Gefühl im jetzigen Moment ist. Nach sich selbst zu sehen bedeutet, wieder ein Gefühl für sich selbst zu entwickeln.
Nach sich selbst zu sehen bedeutet auch, seine eigenen Bedürfnisse wieder wahrzunehmen. Oft passiert es in der Kindheit, dass Eltern über die Bedürfnisse der Kinder hinweggehen und diese lernen, ihre Bedürfnisse zu verleugnen. Ein Bedürfnis wahrzunehmen heißt aber nicht, es gleich eins zu eins umzusetzen oder, was oft auch passiert, vom Partner zu erwarten, dass er es dann erfüllen soll.
Hier geht es oft, um innere Kinder, die nochmals gesehen werden wollen. Der einzige, der das dann tun kann bist du selbst.
Darum seid achtsam bei diesem Satz, spürt in euch hinein und achtet darauf, dass bei Selbstfürsorge nicht Egoismus gemeint ist, dass ihr selbst für euer Glück verantwortlich seid, und dass ihr abwägen dürft, was ihr wirklich braucht.
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Also dann, geh und mach dein Ding.
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